Interview im Online-Kurier vom 22.05.2009
Vor dem Abschiedsspiel blickt der 37-Jährige kritisch nach vorne und zurück:
KURIER: Sie gehen als anerkannter Spezialist ins Cupfinale am Sonntag. Wird’s der schöne Abschluss einer schönen Karriere?
Jocelyn Blanchard: Ich will diesen Cup. Unbedingt. Ich hab’ noch für jeden meiner Trainer bei der Austria für einen Titel gesorgt. Zellhofer hatte zuvor keinen, jetzt hat er einen.
Nur über ein Elfmeterschießen wären sie weniger erfreut. Warum?
In Graz hab’ ich meinen Elfer verschossen. Danach hab’ ich gesagt: nie wieder. Daher werden wir dieses Mal das Spiel in 90 Minuten entscheiden.
Was beschäftigt Sie? Traurigkeit oder Vorfreude auf neue Aufgaben?
Ach was, ich bin ein Roboter. Egal, ob es das letzte Spiel ist, ob man mir ein Messer in den Rücken steckt oder mich ein Arschloch schimpft. Ich gebe immer alles.
Viele meinen allerdings, Sie hätten Ihren Zenit überschritten …
Diese Ansicht ist vollidiotisch. Warum hat bis jetzt kein Junger auf meiner Position gespielt? Warum kommen die Leute, die so etwas sagen, nicht jeden Tag zum Training und schauen, welchen Job ich auf dem Platz mache, welchen Job ich in der Kabine mache, wenn wir verlieren und Probleme haben. Welcher junge Spieler hat das getan für den Klub? Natürlich bin ich nicht mehr derselbe wie mit 31. Aber fünf Trainer haben auf mich gebaut. Das zählt. Andere können sagen, was sie wollen.
Kärnten hätte Sie gerne als Spieler. Merken Sie, dass Sie noch begehrt sind?
Es gibt zwei, drei Möglichkeiten. Fünf Minuten, nachdem publik geworden ist, Blanchard ist bei der Austria fertig, kamen die Anrufe. Die wären nicht gekommen, wenn man der Meinung wäre, der ist ja viel zu alt. Das Echo war schön.
Wurde mit der Austria über eine gemeinsame Zukunft gesprochen?
Wir suchen ein Lösung. Entweder ich sage „Stopp“ als Fußball-Profi und werde Trainer in der Akademie oder der Amateure, oder ich spiele noch ein Jahr. Die Austria hat noch kein klares Konzept vorgelegt. Ich möchte jedenfalls nicht nur die U 12 trainieren. Braucht der Klub einen Mann, der alles durchzieht, muss man etwas bezahlen. Ich könnte mir vorstellen, selbst einen Privatsponsor zu suchen. Ich würde gerne hier bleiben.
Wie beurteilen Sie die Nachwuchsarbeit beim Klub?
Das Problem ist, dass es pro Jahr zumindest ein Spieler aus der Akademie in die Bundesliga schaffen hätte müssen. Heuer kam Suttner, und manchmal Dragovic. Aber der spielt halt nicht 30-mal wie ein Routinier. Okotie hat’s geschafft. Also – wenn ich Suttner dazuzähle – zwei Stammspieler in sechs Jahren, seit ich hier bin. Der Klub hat schon lange eine Akademie und ein Amateur-Team. Das kostet viel, aber es schaut zu wenig heraus.
Was sollte verbessert werden?
Ab der U 12 muss durchgehend eine Philosophie herrschen, das gleiche System gespielt werden. Die U 17 müsste mit den Amateuren arbeiten und wissen, was verlangt wird. So wie in Barcelona oder in Holland. Die Jungen sollen dabei ihre Kreativität behalten. Die Taktik, wie man schießt, wie man richtig flankt, muss aber erledigt sein. Der Rest ist Sache der Motivation, des Talents, des Charakters. Du musst Fußball lesen können. Das liegt in den Genen. Dann wird sich zeigen, ob dein Vater seine Sache gut gemacht hat.
Wie beurteilen Sie nach sechs Jahren das Niveau in der Liga?
Es ist niedriger geworden. Ohne Salzburg wäre die Liga kaputt, denn man braucht immer zwei, drei Klubs an der Spitze, die die anderen mitziehen. Umso wichtiger ist der Nachwuchs, da wurde in Österreich in den letzten Jahren zu wenig gearbeitet.
Und die Entwicklung der Nationalmannschaft?
Im gesamten österreichischen Fußball gibt’s noch viele Amateure. Da hört man oft nur Blablabla. Die Funktionäre schauen nur bis zur Nasenspitze. Die Teamtrainer kommen und gehen. Aber jeder sollte einen zweiten dabei haben, der lernt und die Arbeit weiterführen kann. Da darf man nicht nur bis zur WM 2010 denken. Österreich hätte auch nie bei der EM 2008 teilgenommen, wenn man nicht Veranstalter gewesen wäre. Das Ziel muss heißen 2016 oder 2018.