Seit Sommer 2003 schnürt der sympathische
Franzose Jocelyn Blanchard nun schon die Schussstiefel für die Wiener
Austria. Vor einer Woche verlängerte der bald 35-Jährige seinen
auslaufenden Vertrag um ein Jahr bis Sommer 2008. Das
sportnet.at-Interview!
Unter Insidern gilt Blanchard nicht
nur in Österreich als einer der besten zentralen Mittelfeld-Spieler.
Bei den Violetten avancierte ?Jocy? schon bald zum Publikumsliebling,
zum Vorbild und zum verantwortungsbewussten Kapitän. Hört man sich auf
den Tribünen im Horr-Stadion um, bezeichnen ihn viele als den besten
FAK-Kapitän seit Herbert Prohaska.
Beeindruckend ist vor allem seine Bilanz. Seit 2003 brachte es der
violette Gentleman auf 130 Einsätze in der Meisterschaft. In vier
Saisonen fehlte Blanchard bisher in nur acht Partien. In der aktuellen
Spielzeit ist er gemeinsam mit dem Altacher Pablo Chinchilla der
einzige Bundesliga-Spieler, der alle bisherigen 30 Spiele über die
volle Distanz absolvierte.
sportnet.at besuchte Blanchard im Horr-Stadion und sprach mit
ihm über seine Vertragsverlängerung. Der Familienvater erklärte im
Interview warum für ihn in Österreich nur die Austria in Frage kommt,
wieso die Fans auf den Verein und nicht auf Mario Tokic böse sein
sollten, warum er in jedem Spiel Vollgas gibt und weshalb die Austria
ohne weitere Spielertransfers nichts im Europacup zu suchen hat.
sportnet.at: Du hast vor einer Woche deinen Vertrag bei
der Austria nach langwierigen Verhandlungen um ein weiteres Jahr
verlängert. Was gab den Ausschlag?
Jocelyn Blanchard: "Ich wollte noch ein Jahr
Fußballspielen. Man wird sehen, wie lange mein Körper noch mit macht.
Ich glaube, ich bin noch fit für zumindest ein weiteres Jahr. Andere
Klubs kamen nicht in Frage. In Österreich gibt es für mich nur Austria
Wien. Deshalb wollte ich unbedingt hier bleiben. Auch wenn es sicher
nicht der beste Vertrag ist, den ich in meiner Karriere unterschrieben
habe. Ich habe auf viel Geld verzichtet."
"Meine Freude am Fußball und mein Herz für diesen Klub waren größer
als meine Gedanken ans Portemonnaie. Natürlich habe ich bei den
Verhandlungen versucht, das Beste für mich heraus zu holen. Ich
verstehe aber auch den Klub. Es ist nicht mehr so viel Geld da wie
früher. Ich bin nicht zufrieden, aber ich akzeptiere die Situation."
Waren andere Vereine an Dir interessiert?
"Ich respektiere alle anderen Klubs in Österreich. Ich wollte aber
nicht wechseln. Auch das Ausland kam für mich nicht mehr in Frage.
Meiner Familie gefällt es Wien und die Austria war immer korrekt zu
mir."
Die Verantwortlichen der Austria haben immer betont, dass Du als
Mensch und Kapitän für den Klub sehr wichtig bist. Ist das eine
Belastung für dich?
"Ich bin sehr stolz. Trotzdem entsteht auch ein gewisser Druck, wenn
dir Fans und Manager und Trainer immer wieder sagen, wie toll und
wichtig du bist. Ich weiß, dass ich ein Vorbild bin. Ich freue mich
sehr darüber, dass ich sehr beliebt bin und das sich jeder freut, weil
ich noch ein Jahr in Wien bleibe. Wenn du begehrt bist, fällt es
leichter auf Geld zu verzichten."
Die sportliche Situation der Austria glich in diesem Jahr einer
Hochschaubahn. Als Meister gestartet, wart ihr im Winter plötzlich
Tabellenschlusslicht und habt euch im Frühjahr wieder ein wenig heran
gekämpft. Wie bewertest du die sportliche Lage?
"Das ist eine normale Situation, wenn der Klub nicht langfristig
planen kann. Wir waren Meister, hatten aber zu Beginn der neuen Saison
keine Meistermannschaft mehr. Der Klub hat die Situation unterschätzt.
Es war keine Mannschaft mehr da, die es in die Champions League
geschafft hätte. Der Klub war aber trotzdem zuversichtlich und nicht
vorsichtig. Der Meistertitel, der Cupsieg und die Aussicht auf die
Champions League haben ein wenig geblendet. Nur von Jahr zu Jahr zu
schauen und zu planen, ist nicht gut und ein großes Problem."
"Als Meister musst du längerfristig nach vorne blicken als es die
Austria gemacht hat. Im Fußball ist alles möglich, vor allem wenn
innerhalb kurzer Zeit die Qualität stark abnimmt. Im Herbst hat die
Austria dies zu spüren bekommen. Vielleicht war es auch eine Kopfsache.
Manche haben vielleicht geglaubt als Meister weniger kämpfen oder
laufen zu müssen. Du musst immer 100 Prozent geben, egal ob in der
Champions League, im UEFA-Cup oder in der Meisterschaft. Aktuell haben
wir viele Verletzte. Aber auch damit müssen wir fertig werden."
In den letzten Spielen, vor allem in Mattersburg und gegen den
GAK, haben nicht alle Spieler ihr Bestes gegeben. Ist es auch deine
Aufgabe als Kapitän mit den Spielern ein ernstes Wort zu sprechen?
"Ich habe der Mannschaft immer gesagt, dass alle in jedem Spiel ihr
Bestes geben müssen. Wenn wir ein oder zweimal verlieren, ist es aber
für die Spieler und den Klub noch keine Krise. Das ist nur eine Krise
für die Medien. Als Profispieler bist du verpflichtet, sobald du auf
dem Platz stehst, hundert Prozent Leistung zu bringen. Taktische und
technische Fehler können immer passieren. Da fehlt manchmal vielleicht
auch die Qualität. Aber kämpfen und laufen muss jeder Fußballprofi
können. Soviel kann man als Kapitän von seinen Kollegen verlangen. Oft
ist es auch eine Charaktersache. Jeder kann einmal einen schlechten Tag
erwischen. In jedem Fall wirst du aber jedes Spiel verlieren, wenn fünf
oder sechs Spieler nur siebzig Prozent Leistung bringen. Ich als
Kapitän muss ohnehin immer perfekt spielen. Denn ich bin das Vorbild."
Was könnt ihr in diesem Jahr noch erreichen?
"Alles ist möglich. Wir können noch Cupsieger werden und haben auch
in der Meisterschaft gute Chancen, einen UEFA-Cup-Startplatz zu
erreichen. Für mich ist das aber nicht wichtig. Für mich ist ein gutes
Mannschaftsklima viel entscheidender. Wenn alle Spieler ihren Job
respektieren, dann bin ich zufrieden. Der Rest kommt ohnehin von
alleine. Natürlich will ich jedes Spiel gewinnen. Das muss das Ziel
jedes Profis sein."
"Ein Start im UEFA-Cup macht aber nur dann Sinn, wenn du auch
wirklich etwas erreichen kannst. Heuer haben wir in der Gruppenphase
etwa 4:0 in Amsterdam verloren. Das macht keinen Spaß und hat keinen
Sinn. Die Zielsetzung ist entscheidend. Will ich etwas im Europacup
erreichen, brauche ich auch die richtige Mannschaft dafür. Habe ich
nicht genug Geld um qualitativ gute Spieler zu kaufen, kann ich nur am
Europacup teilnehmen, um junge Spieler einzusetzen und etwas für die
Zukunft zu lernen. Das muss sich der Verein überlegen. Ich war mit der
Austria im UEFA-Cup-Viertelfinale. Damals hatten wir aber auch eine
Mannschaft, die mit etwas Glück auch ins Finale hätte kommen können."
Du bist der einzige Spieler bei der Austria, der in der laufenden
Saison alle Meisterschaftsspiele über 90 Minuten absolviert hat. Hast
Du noch Kraft für das Meisterschaftsfinish?
"Vielleicht habe ich Glück und kann eine ganze Saison beenden ohne
ausgewechselt zu werden. Ich habe noch genug Kraft für den Rest der
Saison. Manchmal bin ich schon müde und leicht verletzt. Trotzdem
versuche ich immer für jedes Spiel fit zu werden. Auch das ist eine
Kopfsache. Wenn ich unbedingt spielen will, dann kann ich das auch mit
einer leichten Verletzung. Vor allem wenn du eine Mannschaft hast wo
alle am gleichen Strang ziehen. Dann fällt es leichter, sich zu
überwinden."
Was ist Deine Meinung zur Causa Mario Tokic?
"Die Situation, in der Mario ist, ist nichts ungewöhnliches. Ich
verstehe die Fans wenn ein Spieler der Austria bei Rapid im Gespräch
ist. Aber die Fans sollten nicht auf Mario böse sein, sondern sich
lieber fragen, warum die Austria einen guten Spieler wie ihn nicht
länger als ein weiteres Jahr behalten wollte. Mario ist Spieler bei
Austria bis Juni und danach frei. Fußball zu spielen ist sein Beruf und
nicht sein Hobby. Er muss sich umsehen. Er ist 31 und möchte noch
einmal für drei Jahre einen guten Vertrag abschließen. Was hilft es
ihm, wenn er bei der Austria einen Jahresvertrag unterschreibt und sich
dann schwer verletzt? Dann will ihn niemand mehr. Ein
Drei-Jahres-Vertrag ist für einen Spieler über 30 wie eine
Versicherung. Die ganze Sache sollte für die Fans kein Problem sein. Es
tut mir zwar leid, aber es gibt nicht nur Austria Wien im Leben."
Beschäftigt Dich die wirtschaftliche Zukunft der Austria?
"Ich glaube ohne Frank Stronach würde es die Austria nicht mehr
lange geben. Ich kenne ihn persönlich nicht gut, aber ich weiß, dass er
sehr viel Geld in den Klub investiert hat. Wenn er die Austria nicht
mehr unterstützt, wäre das eine Katastrophe. Genauso schlecht ist es
aber, wenn Stronach nur einen Vertrag für ein weiteres Jahr
unterschreibt. In diesem Fall kann man nicht längerfristig planen. Das
ist sehr schlecht. Es ist eine schwierige Situation."
Du bist mit 31 Jahren nach Österreich gekommen und beginnst im
Juli deine fünfte Saison bei der Austria. Wie beurteilst Du deine
bisherige Karriere?
"Ich habe in Frankreich und Italien gespielt. Mit 31 habe ich mir
überlegt, ob ich noch in eine andere große Liga nach England oder
Spanien wechseln soll? Dann hatte ich das Angebot von Austria Wien und
die Chance Champions League zu spielen. Ausschlaggebend war jedoch,
dass ich mit 31 mehr Ruhe haben wollte. Ich wollte mich auf den Spaß am
Fußballspielen konzentrieren. Ãœberall habe ich immer sehr viel für den
Klub und die Mannschaft gearbeitet. Mir wurde das etwas zu viel. Vor
allem in Frankreich hatte ich immer sehr viel Stress. Auch dort war ich
Kapitän und musste bei jeder Pressekonferenz dabei sein und sehr viel
mit den Medien reden. Das wollte ich nicht mehr. Ursprünglich wollte
ich auch nur ein Jahr in Wien bleiben. Wien war aber sehr schön und ich
habe den Verein lieben gelernt. Außerdem bist du mit 32 in Frankreich
schon ein sehr alter Spieler. Deshalb bin ich bei der Austria bis heute
geblieben."
Was machst Du nächstes Jahr? Karriereende?
"Diese Frage beschäftigt mich jedes Jahr. Ich weiß es nicht. Wien
ist eine wunderschöne Stadt und Österreich ein wunderschönes Land. Ich
will auch nach meiner aktiven Karriere weiter im Fußballbereich tätig
sein. Wo und wie wird man dann sehen. Wichtig ist, dass es ein gutes
und zukunftsorientiertes Projekt ist. Die Philosophie und die
Perspektive muss stimmen."