online standard vom 05.12.2008 (durch zufall soeben entdeckt)
Sie erleben jedes Spiel der Austria hautnah mit. Viele sind dichter dran als ihnen lieb ist: Die Anrainer des Horr-Stadions. Ein Lokalaugenschein vor dem Derby am Sonntag.
Natürlich sei er Austria-Fan, sagt Heinz Novak. Das ist naheliegend, lebt er doch seit 33 Jahren mit dem Fußballklub Tür an Tür. Die Kicker im Franz-Horr-Stadion in Wien-Favoriten, seit 1973 Heimstätte der Veilchen, er seit 1975 in seinem Häuschen am Areal des „Eigentums-Kleingartenvereins Wilhelmshöhe“. Zwischen Stadion und den als Erholungsgebiet gedachten Gärten liegt der schmale Schwarzerweg. Doch der ist kaum in der Lage zu verbinden: Auf beiden Seiten begrenzen ihn hohe Zäune und versperrte Gittertore.
Für Herrn Novak ist der Schwarzerweg eine Trennlinie. Bei Heimspielen der Austria nimmt er aus dem trauten Heim mit dem pingelig gepflegten Garten Reißaus. Erst recht, wenn ein Derby gegen Stadtrivalen Rapid auf dem Programm steht. So wie diesen Sonntag (15.30 Uhr/ORF1, Premiere). Mit den Fans, die im besten Fall „Wir sind die Jungs aus Favoriten, violett ist unser Team“ singen, in vielen Fällen aber derbere Gesänge anstimmen, hat er nichts am Hut. Der Wirbel und die Absperrung würden ihm die Freude nehmen. Die Austria-Partien lässt sich der Pensionist dennoch nicht entgehen. Im Fernsehen, sagt er, ist er live dabei – und in sicherer Entfernung.
Nur die Gartenzwerge fehlen
Wer im Kern der Anlage wohnt, bekommt von den Fanaufmärschen im 14-Tages-Rhythmus weniger mit. Lediglich die zur Sisyphusarbeit ausartende Parkplatzsuche kann Christine Bruckner, seit 24 Jahren in der Siedlung zu Hause, die Spieltage vermiesen. Auch der Lärm der angrenzenden Südosttangente und des Verteilerkreises Favoriten stören sie nicht.
Die „Wilhelmshöhe“ besteht aus 142 Parzellen, rund ein Drittel davon ist bebaut. Kleine Häuser mit Heile-Welt-Flair, säuberlich getrimmtem Rasen, gestutzten Sträuchern und gerechtem Laub. Allein die Gartenzwerge fehlen, um allen Schrebergartensiedlungs-Klischees zu entsprechen. Die Bewohner sind zum Großteil Pensionisten, die sich täglich beim Äußerln der Hunde über den Weg laufen.
Steht ein Austria-Heimspiel an, lässt Helmtraud Luhan die Rollläden herunter. Seit Fans einmal ihr Haus, das direkt am Schwarzerweg liegt, mit Bierdosen beworfen haben, bunkert sie sich samt Hündin Lisa daheim ein. Bei Derbys fühle sie sich allein durch die enorme Polizeipräsenz selbst schon wie eine Kriminelle, erzählt sie. Einmal habe sie sich gar ausweisen müssen, um zu ihrem Haus zu gelangen. Wenn bei den Spielen der Austria gegen Rapid der Verteilerkreis gesperrt und die Zuschauer wie Affen zum Stadion geführt werden, wie sie es ausdrückt, provoziere das Ausschreitungen geradezu.
Für den Lärm der Anhänger habe sie ja Verständnis. Sie selbst, eine Anhängerin der Austria, allerdings jener aus Salzburg, sei in ihrer Jugend selbst oft in den Stadien gewesen. Dass die Parolen der Fangruppen aber so brutal und ordinär sein müssen, könne sie nicht verstehen, ebenso wenig, dass laufend Zäune eingedrückt und Lampen zerstört würden. Ganz zu schweigen davon, dass ständig in die Gärten uriniert und verbrannte Erde hinterlassen werde. Neulich, erzählt sie, musste zum Schutz von auf der Tangente vorbeifahrenden Autos eine Plane gespannt werden, weil Übermütige auch auf diese urinieren und Dosen werfen wollten. Eine ihre Nachbarinnen, deren videokamerabewehrtes Häuschen exponiert am Eck der Kleingartensiedlung steht, habe schon mehrfach Eingaben an die Stadtverwaltung verfasst, weil stets Montagmorgen Laubblasgeräte für Lärm, Gestank und Staub sorgen. Gebracht habe das alles aber nichts.
Das Management der Austria weiß um die Probleme. Dass es keine offenen Konflikte gibt, wird als Erfolg der guten Kommunikation mit den Anrainern gewertet.
Wegziehen – Käufer gesucht
Frau Luhan jedenfalls fühlt sich als Zaungast wider Willen. Die Spiele ihrer Nachbarn verfolgt sie im Fernsehen. Sie will ja ständig wissen, was los ist. Seit Längerem schon will sie ihr Haus verkaufen. Die Nachbarschaft zum Stadion aber schreckte viele Interessenten ab, auch, dass es keine direkte Zufahrt gibt. Eine Zielgruppe hat sie wohl bislang ausgelassen, die über diese Mankos hinwegsehen würden: eingefleischte Austria-Fans.