derstandard.at - Artikel über Schwierigkeiten in der Ukraine vor EM2012
ZitatAlles anzeigenFast so gut wie Löwen und Leoparden
Die Ukraine, mit Polen Ausrichter der Fußball-EM 2012, gleicht einer Baustelle. Die Kosten explodieren, das Turnier wird trotzdem stattfinden. Oligarchen springen ein. Und Campingplätze sind eine Alternative zu Hotels
Lemberg/Kiew - Ein Absperrband flattert matt im ukrainischen Herbstwind, Baukräne lehnen wie Stützpfeiler am neuen Fußballstadion in Lwiw oder auch Lemberg. Düster, staubig, unvollendet wirkt das Ambiente. Drinnen tobt die Eröffnungsfeier für die Arena, dumpf schallt die Reibeisenstimme der Rockröhre Anastacia durch die Betonwände bis in die Mondlandschaft davor. Auf den unfertigen Außenanlagen stehen zwei Feuerwehrautos bereit.
Sieben Monate vor Beginn der Fußball-EM kämpfen der Co-Gastgeber (gemeinsam mit Polen) und die Uefa nach wie vor gegen zahlreiche Brände. "Eingeflogen zum Noteinsatz" sei die Europäische Fußball-Union daher, berichtete das TV-Magazin Sport Inside. "Noch nie war die Austragung einer EM so gefährdet."
Als Feuerteufel gilt vor allem Lemberg. Das Sorgenkind weihte als letzte der vier Ausrichterstädte (die anderen sind Kiew, Charkow und Donezk) am 29. Oktober das neue Stadion ein. Mit dem Konzert. Fußballerisch wird diese Ehre am Dienstag Österreich zuteil. Die zweite Mannschaft ist logischerweise die Ukraine. 220 Millionen Euro hat das Haus gekostet, das auf einem Entwurf des österreichischen Architektenbüros Albert Wimmer basiert, veranschlagt waren 95 Millionen. Teile des Daches sind nach wie vor unvollendet. Die Uefa will das Turnier in dem politisch kriselnden Land auf Biegen und Brechen über die Bühne bringen, eine Blamage verhindern. Geld spielt kaum eine Rolle, die Kosten sind explodiert. Von neun Milliarden Euro ist die Rede, die WM 2010 in Südafrika kostete nur ein Drittel.
Michel Platinis Drohungen, der Ukraine die Ausrichterrolle zu entziehen, sind allerdings Schnee von gestern. "Die Ukraine ist praktisch für die EM 2012 bereit. Es gibt keine ernsthaften Probleme mehr", sagte der Uefa-Präsident Ende September bei der Eröffnung des Vip-Terminals des Flughafens in Charkow: "Der Terminal ist schön, das Stadion großartig." 300 Millionen Euro soll "schön" und "großartig" gekostet haben, bezahlt hat der Oligarch Alexander Jaroslawski. Warum er das tat und für den korrupten und überforderten Staatsapparat in die Bresche sprang? "Ich will meiner Stadt und meiner Familie großen Fußball zeigen", sagte der Besitzer des Erstligisten FC Metalist.
Mit dem Auto sollte man eher nicht reisen, es sei denn, man liebt Geländefahrten. Die einzige echte Autobahn des Landes führt von Kiew zum Flughafen der Hauptstadt, erbaut wurde das Stück 1972 anlässlich des Staatsbesuchs von US-Präsident Richard Nixon. Mehr als 3500 Kilometer Straßen würden bis zur EM neu gebaut oder saniert, berichtete der stellvertretende Ministerpräsident und Verkehrsminister Boris Kolesnikow unlängst. Ob es sich dabei aber um echte Autobahnkilometer oder um "Straßen mit Autobahncharakter" (Kolesnikow) handelt, ist nicht ganz klar.
Inwieweit die zehn Eisenbahnzüge, die die Ukraine in Südkorea gekauft hat, das Verkehrsproblem lösen können, ist ebenfalls ungewiss. Fragezeichen gibt es auch bei den Flughäfen. Wie ein "Kiosk" sehe der Airport in Donezk aus, witzelte der russische Präsident Dmitri Medwedew beim Besuch im Oktober. Österreichs Team muss Lemberg mit zwei kleinen Maschinen anfliegen, für einen dicken Brummer ist die Piste (noch) zu kurz.
Ein kaum zu lösendes Problem scheinen die Hotels zu sein. "70 bis 80 neue Hotels" sollen erbaut werden, sagte Cheforganisator Kolesnikow. Die Pragmatiker von der Uefa empfehlen allerdings Campingplätze. "Jeder Fan, der nicht in der Ukraine ist, ist besser", urteilte Sport Inside. Das alles hielt die Tourismus-Experten des Lonely-Planet-Verlags aber nicht davon ab, die Ukraine in die Top Drei der Reiseziele für das Jahr 2012 aufzunehmen. Hinter der Top-Destination Uganda ("Löwen und Leoparden, Elefanten und Gorillas") und Myanmar (Burma). "Auch nicht ganz unumstritten", wie es in einer Rezension bei Spiegel online heißt. (sid, red - DER STANDARD-Printausgabe 14.11. 2011)