super interview mit jogi löw

  • passt zwar nicht ganz ins forum "nationalmannschaft". wusste aber auch nicht wo sonst hin. evtl. bitte einfach verschieben:



    Interview mit dem Bundestrainer


    ?In der Taktik haben wir Nachholbedarf"



    Ein Bundestrainer zum Liebhaben: Jogi Löw
    28. März 2007
    Joachim Löw überlässt nichts dem Zufall. Im F.A.Z.-Interview spricht der Bundestrainer über die Fortbildung der Spieler und verrät, wie minutiös er sich und das Team auf ein Länderspiel vorbereitet. Das defensive Mittelfeld bekam vor dem Tschechien-Spiel eine DVD zum Thema ?zweite Bälle?. Der Abwehr wurde visuell vor Augen geführt wie man das tschechische Dreieck Koller, Rosicky, Baros ausschaltet.


    Wie lange benötigen Sie für eine Länderspiel-Vorbereitung wie gegen Tschechien?


    20 Minuten.


    Gegen Dänemark werden es dann wohl nur fünf Minuten sein?


    Nein, nein, im Ernst: Das lässt sich in Stunden nur sehr schwer sagen. Die Vorbereitung eines Länderspiels beginnt jedenfalls immer mit dem Ende der letzten Begegnung, gegen Tschechien also mit dem 3:1 gegen die Schweiz. Wir werten das Spiel aus, um daraus Erkenntnisse für die Vorbereitung auf die nächste Partie einfließen zu lassen.


    Was heißt das konkret?


    Die Vorbereitung verläuft in Etappen. Ich schaue mir zunächst das letzte Spiel in der Regel noch einmal auf DVD an, aber nicht in einem Stück. Ich stoppe immer wieder, lasse Szenen zurücklaufen und mache mir Gedanken, was man auf welche Weise in unserem Spiel verändern könnte - und schreibe es auf. Dann kommt die Phase, in der wir uns mit dem Gegner auseinandersetzen. Bei wichtigen Spielen wie gegen Tschechien dauert das natürlich länger als für das Testspiel jetzt gegen Dänemark. Ich schaue mir dann mit Hansi Flick die letzten zwei, drei Länderspiele unseres Gegners an, und wir tragen unsere Eindrücke aus dem Videostudium zusammen. Dann nehmen wir Kontakt zu Urs Siegenthaler auf, um seine Erkenntnisse von den Spielen, die er auch live gesehen hat, zu erhalten. Danach arbeiten wir gemeinsam eine Strategie aus, wie wir vorgehen. Das dauert dann einige Tage, bis wir sagen können: So sieht die Lösung aus. Siegenthaler hatte gegen die Tschechen gleich gesagt: Die Lösung geht über Koller.


    Wie setzen Sie die Erkenntnisse dann für die Mannschaft um?


    Danach stellen wir mehrere DVDs zusammen, eine für die gesamte Mannschaft und dann mehrere für Teilbereiche des Teams. In diesem Fall zum Beispiel für die Abwehr, um zu zeigen, wie man das Dreieck Koller, Rosicky, Baros aus dem Spiel nimmt. Oder eine DVD für das defensive Mittelfeld mit dem Thema ?zweite Bälle?. Das haben die Tschechen zuvor immer beim Spiel auf Koller genutzt, aber Michael Ballack und Torsten Frings haben zweite Versuche in Prag nicht zugelassen. Sie waren vorbereitet. Die Tschechen konnten dieses Mittel nicht mehr nutzen. Außerdem gab es vor dem Spiel gegen Tschechien eine DVD für die Stürmer und offensiven Mittelfeldspieler, wie sie am besten gegen die Verteidigung in die Spitze vorstoßen können. Gegen Dänemark wird es auch eine Vorbereitung mit DVD geben, aber eben nicht so aufwendig. Es wird nicht für alle Mannschaftsteile eine spezielle DVD erstellt.


    Beschäftigt Sie so ein Spiel wie gegen Tschechien schon monatelang im Voraus ständig im Kopf?


    Nein, ich habe mir einen Rahmenterminkalender erstellt, der über zwei, drei Monate reicht. Es gibt darin Tage, die ich mir völlig von Terminen freihalte. Das sind meine konzeptionellen Tage. Da sitze ich im Büro und mache mir Gedanken und Notizen, woran wir weiterarbeiten müssen, welche Spieler speziell angesprochen werden müssen und wie sich diese Dinge in Trainingsinhalte umsetzen lassen.


    Wenn Sie ein Spiel noch mal in Ruhe ansehen, erleben Sie dabei Ãœberraschungen?


    Ãœberraschungen nicht, aber ich gewinne Erkenntnisse. Es gibt Details und Einzelszenen, die ich wegen der Emotionen und der Anspannung am Spielfeldrand so nicht gesehen habe. Ich entdecke Zusammenhänge, die ich vorher nicht erkannt habe.


    Kapitän Michael Ballack hat behauptet, Ihre Ansprachen seien ein Schlüssel zum Erfolg.


    Eine Ansprache muss prägnant und einprägsam sein. Weniger ist dabei besser als mehr. Aber die Ansprache ist nicht das Wichtigste, sondern die Analyse und die Schlüsse, die daraus für das Training gezogen werden. Als Spieler muss ich auf dem Platz vorbereitet sein. Ich muss wissen, was im Spiel auf mich zukommt. Das funktioniert zwar auch über Kommunikation, aber vor allem über Training. Urs Siegenthaler hat dafür eine schöne Metapher gebraucht: Die Musiker des Londoner Symphony Orchestra sind herausragende Individualisten. Aber da kann der Dirigent auch nicht sagen: Spielt einfach, ihr könnt das ja. So geht das nicht. Sie müssen jeden Tag viele Stunden harte Detailarbeit leisten. Und in der Nationalmannschaft geht es auch nicht mehr, dass man sagt: Ihr seid hervorragende Fußballer, geht raus und spielt. Man muss den Spielern immer Handlungslösungen und Strategien anbieten. Sie müssen Spielsituationen schon im Training erlebt haben, sie müssen das Gefühl für den Raum und den Mitspieler kennen: Wo steht er? Wie weit ist er weg? Das klingt zwar banal, aber solche Dinge sind nun einmal das Handwerkszeug - auch von Nationalspielern.


    Und die Spieler sind offensichtlich klug genug, die Vorgaben umzusetzen?


    Wir erwarten von unseren Spielern während der Partie nur das, was wir trainiert haben. Was man nicht eingeübt hat, kann man auch nicht voraussetzen. Die Mannschaft fordert von uns Trainern klare Inhalte. Sie erwarten eine klare Aufgabenstellung, sie arbeiten auch gerne taktisch. Mir war es als Spieler immer zu wenig, wenn ein Trainer zu mir gesagt hat: Du musst stärker im Zweikampfverhalten werden und besser beim Kopfball. Ich wollte auch wissen: Wie muss ich das trainieren, wo kann ich es lernen?


    Braucht man mittlerweile intelligente Nationalspieler, um systematisch zum Erfolg zu kommen?


    Es ist zumindest von Vorteil, wenn Spieler klar im Kopf sind. Die Qualität unseres Teams ist vor allem die Spielintelligenz. Wir haben große Strategen in unserem Team. Ballack, Frings, Schneider im Mittelfeld, Metzelder und Mertesacker in der Abwehr, Lehmann im Tor - eine solche Achse garantiert eine hervorragende Organisation. Es ist ganz wichtig, dass sich Spieler selbst weiterentwickeln wollen. Aber man kann auch Spieler überzeugen, wir können ihnen zeigen, was ihre Stärken und Schwächen sind. Es ist jedoch noch besser, wenn ein Spieler selbst auf die Lösung kommt - oder man das zusammen erarbeitet und dann eine Antwort auf die Frage bekommt: ?Was glaubst denn du, wie du dich verbessern kannst?? Das ist ein ständiger Prozess und bei uns die Zielsetzung in jedem Training.


    Nach dem Spiel gegen Dänemark ist Pause bis Juni bis zu den nächsten EM-Qualifikationsspielen. Woran werden Sie dann arbeiten?


    An Standardsituationen. Das Thema liegt bei uns schon seit einigen Jahren brach. Es gab immer andere Themen, die mir und vorher Jürgen Klinsmann wichtiger waren. Gegen Tschechien war es die taktische Arbeit. Aber im Juni haben wir einen Doppelspieltag, unter anderem gegen San Marino, da können wir endlich einmal zwei, drei Trainingseinheiten auf Varianten bei den Standardsituationen verwenden. Dafür hat uns bisher immer die Zeit gefehlt.


    Alles läuft so gut - fehlt Ihnen nicht einmal ein schöner Rückschlag?


    Ein Rückschlag wird kommen - aber er wird nicht mehr so heftig sein wie beim 1:4 vor einem Jahr in Florenz gegen Italien. Man muss es ehrlich sagen: Unser Spiel damals war desolat. Wir waren naiv, ohne eine gute Organisation. Die Niederlage aber hat uns geholfen, einige Dinge den Spielern mit Blick auf die WM schonungslos klarzumachen. Wir hatten zuvor viel Zeit für das offensive Spiel verwendet, wir mussten uns nach der Niederlage dann entscheiden, stärker an der defensiven Organisation zu feilen. Aber auch jetzt dürfen wir nicht vergessen, an unseren Schwächen zu arbeiten. Läuferisch und spielerisch sind die Spieler mittlerweile gut ausgebildet. In taktischen Fragen jedoch müssen wir im deutschen Fußball noch sehr zulegen - sowohl individuell als auch mannschaftlich. Da haben wir Nachholbedarf.


    Das Gespräch führte Michael Horeni.



    Text: F.A.Z., 28.03.2007, Nr. 74 / Seite 32
    Bildmaterial: dpa

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