Calmund: "Pogatetz ist kein Meckerfritze"

  • <h1 class="csc-firstHeader">"Pogatetz hätte zu Bayer zurückkehren sollen"</h1>


    Wien ? Unter seiner Führung verwandelte sich Bayer Leverkusen vom biederen Provinzverein zum CL-Finalisten: Reiner Calmund.



    Am Wochenende war die deutsche Manager-Legende auf Einladung von ATV
    in Wien zu Gast, um erst als Experte die wöchentliche Live-Ãœbertragung
    der Deutschen Bundesliga zu analysieren, und sich anschließend das
    Match Rapid gegen Salzburg live im Hanappi-Stadion anzuschauen.



    Das Schwergewicht der deutschsprachigen Fußball-Szene ließ es sich während seines Österreich-Besuchs auch nicht nehmen, bei Sport1.at exklusiv und ausführlich Rede und Antwort zu stehen und ein Video-Interview, das sie per Gratis-Log-In sehen können, zu geben.



    Botschaft an Hickersberger


    Dabei erinnert er
    sich unter anderem an seinen früheren Schützling Emanuel Pogatetz (?Er
    hatte einen Dickkopf, war aber ein junger, liebenswerter Kerl?),
    verrät, dass Aachen am Steirer dran war und hält es für einen Fehler,
    dass ?Pogerl? nicht nach Leverkusen zurückkehrte.



    Außerdem bricht er eine Lanze für die Rückkehr des Verteidigers ins
    Nationalteam. Calmunds Botschaft an Teamchef Josef Hickersberger:
    ?Jeder macht mal Fehler, vor allem junge Menschen. Der Klügere gibt
    nach ? und das ist in der Regel der Ältere.?



    Zudem spricht er über hoffnungsvolle Talente aus Österreich,
    erklärt, warum rot-weiß-rot in der Deutschen Bundesliga aktuell nicht
    in ist, wundert sich über das Chaos in der heimischen Bundesliga und
    glaubt, dass Red Bull Salzburg bald absolute Topspieler angeln wird.



    Im 2. Teil des Sport1-Interviews
    analysiert der 58-Jährige das Bundesliga-Geschehen in seiner Heimat:
    ?Die Bayern sterben nicht, wenn sie einmal nicht Meister werden. Ich
    drücke den Schalkern alle Daumen und alle Zehen, die sind einfach mal
    dran.?



    Sport1: Herr Calmund, Sie sind als ATV-Experte in Österreich zu Gast. Inwiefern sind Sie dem Fußball noch verbunden?



    Reiner Calmund: Ich habe mich vor knapp drei Jahren
    entschlossen, nicht mehr im operativen Teil auf der Kommandobrücke
    tätig zu sein. Ich wäre eigentlich wie Konrad Adenauer und würde sagen:
    Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, wenn es in meinem
    dicken Bauch kribbeln würde, aber mein Rückzug ist fast manifestiert.
    Ich habe 28 Jahre Achterbahnfahrt im Wellental der Gefühle ? mal oben,
    mal mit doppelten Loopings nach unten ? hinter mir. Wenn ich mir die
    Bundesliga mit zehn Mannschaften im Ãœberlebenskampf ansehe, ist das ein
    Wahnsinn. Ich weiß, wie ich nachts wach werden und mir die
    Schweißperlen im Gesicht stehen würden.
    Sport1: Eine Verbindung zwischen ihnen und
    Österreich ist Emanuel Pogatetz, den Sie 2001 vom FC Kärnten nach
    Leverkusen geholt haben. Wie sind Sie damals auf ihn aufmerksam
    geworden?



    Calmund: Ãœber unser Sichtungsverfahren. Er kam als
    ganz junger Spieler aus der zweiten österreichischen Liga, er hat
    damals unter Schoko Schachner in Klagenfurt gespielt. Natürlich war ich
    damals egoistisch als Manager von Bayer Leverkusen und habe gesehen:
    Das ist ein super Nachwuchsspieler, den hole ich nach Leverkusen ?
    erstmal sichern. Man guckt sich das einmal eine Zeit lang an und sagt
    dann: Pass auf Junge, du hast eine Menge Potenzial, aber um dich
    richtig zu fördern, wäre es besser, wenn du in der Bundesliga oder der
    2. Liga zu einem deutschen Klub gehst, wo du regelmäßig spielst.


    Sport1 exklusiv: Calmund über Pogatetz auf Video!




    Sport1: Gab es damals Interessenten?



    Calmund: Wir hatten damals einige Angebote. Aachen
    hat alles versucht hat, um ihn für die Rückrunde zu holen, Manager
    Schmadtke wollte ihn unbedingt haben, die haben ihn sehr hoch
    eingeschätzt. Da wäre er in den Aachener Aufschwung reingekommen. Das
    hätte ihm sicherlich ganz gut getan. Aber er war auch ein kleiner
    Sturer. Er hat damals gesagt: Nein, wenn ich hier jetzt nicht die erste
    Geige bei Leverkusen spiele, gehe ich zurück nach Österreich zu Walter
    Schachner.



    Sport1: Wie ist Ihnen Pogatetz menschlich in Erinnerung?



    Calmund: Ein junger, liebenswerter Kerl. Also ich
    habe den Jungen nur als absolut anständigen, leistungswilligen Spieler
    kennen gelernt, der ein bisschen einen Dickkopf hat, das halte ich aber
    auch für normal. Ansonsten hatte er beste Manieren, sehr gute Erziehung
    ? also ich kann über Emanuel nichts Negatives sagen. Im Gegenteil: Er
    war ein großes Talent, allerdings noch etwas ungestüm und musste noch
    einen Feinschliff kriegen.



    Sport1: Den hat er schließlich beim GAK und bei Spartak Moskau bekommen. Warum hat Leverkusen ihn dann zu Middlesbrough ziehen lassen?



    Calmund: Als er in Moskau war, gab es jede Menge
    Angebote. Allen voran stand Leverkusen in der Schlange und hat gesagt:
    Wir haben eine Optionsvereinbarung, normal müsstest du zu uns zurück.
    Da hätte Pogatetz sich nicht wehren können. Aber er war nicht bereit
    zurückzukehren. Ich glaube, es war richtig von Leverkusen zu sagen:
    Okay, wenn du auf keinen Fall willst und von Moskau nach England
    willst, dann kassieren wir noch einmal zwei Millionen. Das war
    letztlich ein gutes wirtschaftliches Geschäft, dass ich mit eingeleitet
    habe.



    Sport1: Trauert man ihm in Leverkusen nach?



    Calmund: Meiner Meinung nach wäre es für den Jungen
    selber, aber auch für Bayer Leverkusen die richtige Entscheidung
    gewesen, wenn Emanuel zu Leverkusen zurückgekehrt wäre. Dort hätte er
    das Umfeld gekannt. Die Trainer und auch Rudi Völler wollten ihn damals
    unbedingt haben. Die waren der Auffassung, dass er es in Leverkusen
    schaffen wird. Er wäre heute beim Tabellen-Fünften der Bundesliga und
    Viertelfinalisten des UEFA-Cups ein guter, gestandener
    Außenverteidiger. Leverkusen hat bis zum heutigen Tag Probleme auf der
    linken Außenverteidiger-Position. Im Moment spielt dort mit Babic ein
    gelernter zentraler Mittelfeldspieler.



    <dl class="csc-textpic-image csc-textpic-firstcol csc-textpic-lastcol" style="width: 220px;"><dt></dt><dd class="csc-textpic-caption">Leverkusen wollte Pogatetz an Aachen verleihen, der wollte aber lieber zum GAK</dd></dl>Sport1:
    Letzten Herbst hat Emanuel sein Herz auf der Zunge getragen und
    Teamchef Josef Hickersberger öffentlich kritisiert, weswegen er nicht
    mehr ins Nationalteam einberufen wird. Ist das eine Aktion, die zu ihm
    passt?



    Calmund: Nein, ein Meckerfritze war er eigentlich
    nicht. Er war wie gesagt ein bisschen stur, aber das meine ich nicht
    negativ. Er ist bei uns nie negativ aufgefallen, er ist vom Kern her
    ein liebenswerter, netter Junge. Seine Kritik hätte er natürlich nicht
    öffentlich, sondern hinter verschlossenen Türen äußern sollen. Aber
    jeder macht Fehler, vor allem junge Menschen. Ich glaube, wenn er die
    Qualität und Form hat, sollte sich der Teamchef sagen: Der Klügere gibt
    nach ? und das ist in der Regel der Ältere. Für Emanuel gehören zwei
    Dinge dazu: Dass er seine Fehler einsieht und sagt: Es tut mir Leid.
    Dann fällt es dem Nationaltrainer oder dem einen oder anderen
    Leistungsträger in der Nationalmannschaft sicher auch leichter zu
    sagen: Okay, der hat sich entschuldigt und der bedauert das. Bei der EM
    braucht Österreich jeden wichtigen Leistungsträger, um hier erfolgreich
    mitspielen zu können.



    Sport1: Pogatetz war der einzige Österreicher, der
    während Ihrer Amtszeit in Leverkusen unter Vertrag stand. Hatten Sie je
    einen anderen am Wunschzettel?



    Calmund: Es gibt auch sehr gute Spieler aus
    Österreicher, da muss man nicht darüber diskutieren. Als ich als
    Manager angefangen habe, gab es in Graz einen Spieler namens Gerd
    Steinkogler, den hat uns damals Werder Bremen kurz vor der Nase
    weggeschnappt. Das war jetzt nicht so ein Großer wie Andi Herzog. Der
    hätte bei jedem Bundesliga-Verein spielen können. Aber höher als Bremen
    und Bayern geht es nicht. Diese Liste könnte man jetzt sicher beliebig
    fortsetzen.


    Sport1 exklusiv: Calmund über Ösi-Fußballer auf Video!




    Sport1: Gemeinsam mit Pogatetz haben Sie damals auch Roland Linz beobachtet??



    Calmund: Ja, klar. Österreich ist ein Nachbarland,
    es wird die gleiche Sprache gesprochen, die Spieler haben keine großen
    Probleme, sich in Deutschland zu integrieren. Ich glaube, dass auch in
    Österreich das eine oder andere Talent heranwächst, das jetzt 19, 20,
    21 Jahre alt ist, wo man erkennen kann: Da sind fußballerisches
    Potenzial und Substanz vorhanden. Und vor allem, was auch sehr wichtig
    ist: Da sind Athletik und Schnelligkeit erkennbar. Das sind heute
    zwingende Voraussetzungen, um ganz oben im bezahlten Fußball mitspielen
    zu können. Nur mit kontrollierter Technik kann man heute nichts mehr
    erreichen, die jungen Leute müssen schon auch Feuer unterm Hintern
    haben. Ein junger Spieler aus Österreich sollte auch nicht direkt zu
    einem Top-Klub gehen, sondern zu einem Verein, wo er Perspektive hat
    und zum Einsatz kommt.



    Sport1: Dennoch ist zurzeit kein einziger
    Österreicher Stammspieler in der Deutschen Bundesliga. Hat der
    österreichische Fußball einen solch schlechten Ruf in Deutschland?



    Calmund: Ich glaube, in Österreich weiß man, dass
    man in der Vergangenheit hie und da mal ein bisschen geschlafen hat.
    Man sollte nicht immer nur sagen: Bei uns sind die Berge schön, hier
    schneit es oft, hier kann man gut Skifahren. Markus Weissenberger zum
    Beispiel ist ein erstklassiger Spieler. Auf seiner Position gibt es
    aber einfach zu viele Konkurrenten, wodurch er nicht regelmäßig zum
    Spielen kommt. Ich glaube, Weissenberger würde sicher bei sechs,
    sieben, acht anderen Bundesligisten Stammspieler sein - auch bei
    einigen, die höher stehen.


    Sport1 exklusiv: Calmund-Tipps für Österreich auf Video!




    Sport1: In unserer Liga herrscht im Moment Chaos ? Punkte werden abgezogen und wieder zurückgegeben. Wie groß ist der Imageschaden?



    Calmund: Das ist immer ein Imageschaden. Dass 28
    Punkte abgezogen werden, habe ich noch nie erlebt. Das sind ja
    gigantische Punkteabzüge während des Wettbewerbs. Im Grunde genommen
    füllen jetzt Anwälte und Juristen die Sportseiten. Kein Mensch
    versteht, wenn man dem GAK 28 Punkte abzieht, die dann per
    Einstweiliger Verfügung im laufenden Wettbewerb wieder dazu kommen.
    Wenn nicht mehr der Sport die Berichterstattung dominiert, muss man
    sich sicher im Verband und in der Liga Gedanken machen, und sich mit
    den Klubs zusammensetzen, um zu diskutieren, was falsch gemacht wurde,
    und warum der Zug in die falsche Richtung fährt.



    Sport1: Was ist die größte Gefahr?



    Calmund: Da blickt doch kein Fan mehr durch! Und
    wenn die Fans nicht mehr durchblicken, und keine Spannung mehr da ist ?
    weder im Titelkampf noch im Abstiegskampf ? dann kommt keiner mehr.
    Dann kommen die noch einmal zu Rapid gegen Salzburg und dann sagen sie:
    Jetzt ist Feierabend, das war der letzte Zahltag in dieser Saison! Aber
    das ist normal: Wenn ich das Geschehen nicht mehr nachvollziehen kann,
    bleibe ich auch zu Hause und sage, das interessiert mich nicht mehr.


    Sport1 exklusiv: Calmund über Red Bull Salzburg!




    Sport1: Wie beurteilen Sie als Top-Manager Red Bull
    Salzburg: Ist es nur ein gelungenes Marketing-Produkt oder können die
    hohen sportlichen Ziele eines Tages umgesetzt werden?



    Calmund: Aus Marketing-Sicht ist es ausgezeichnet
    gelungen. In Deutschland spricht man sehr viel von Red Bull Salzburg,
    das ist dort bekannter als das österreichische Nationalteam, was
    natürlich auch mit einem Matthäus oder Trapattoni zusammenhängt. Sie
    haben ein schönes Stadion und ziehen das ordentlich auf. Entscheidend
    ist aber, dass man sportlichen Erfolg hat. In der österreichischen Liga
    ist das ? ich würde fast sagen erwartungsgemäß ? leicht gefallen. Der
    nächste Schritt, erfolgreich im internationalen Fußball zu spielen, ist
    sicherlich nicht so einfach. Bei allem Respekt für Zickler und Linke -
    alles tolle Fußballer. Aber um erfolgreich in der Champions League zu
    spielen, fehlen meiner Meinung nach noch ein paar Prozent, da müssen
    sicherlich noch andere Spieler verpflichtet werden. Man muss sicher
    noch Geduld haben.



    Sport1: Reichen die Red-Bull-Millionen, um wirkliche Topspieler nach Österreich zu locken?



    Calmund: Ich glaube schon. Jetzt wird man Meister,
    spielt international mit. Wichtig ist, dass in absehbarer Zeit auch
    Spieler nach Salzburg kommen, die nicht nur sagen: Salzburg ist eine
    schöne Stadt mit hoher Lebensqualität, hier wird gut bezahlt - also
    nicht nur Fußballer an ihrem fußballerischen Lebensabend. Es müssen
    auch Spieler her, die Mitte 20 sind und voll im Saft stehen, die eine
    Perspektive für die nächsten Jahre sehen. Ich bin mir ziemlich sicher,
    dass dies der Vereinsführung gelingen wird ? damit meine ich auch
    Topstars.

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