Rentner sammelt 100.000 Fußball-Ergebnisse der Kaiserzeit.

  • Quelle: welt.de, gekürzt


    Die gute Nachricht zum Tage:


    Lange gilt Udo Luys Leidenschaft den Schmetterlingen. Dann entdeckt der Rentner ein neues Hobby: die Ergebnisse von Fußballspielen aus der Kaiserzeit. Er rettet Resultate vor dem Vergessen und besitzt ein einzigartiges Archiv.


    Tore hatten keine Netze, die Schiedsrichter trugen Sonntagsanzug, die Spieler knielange Hosen, und wenn der Ball kaputt ging, dann war das Spiel zu Ende. Über die Zeit, als der Fußball nach Deutschland kam, wird heute nur noch geschmunzelt, eine besondere Relevanz hat sie nicht.

    Es gab weder eine Bundesliga noch einen Europapokal, geschweige denn eine Weltmeisterschaft. Der Fußball der Kaiserzeit spielte auf den Sportseiten nur eine Nebenrolle, weit hinter Turnen, Reiten und Tennis.

    An der Frage nach dem ersten Deutschen Meister von 1903 würden heute schon viele scheitern, denn für die meisten Fans beginnt die Fußballgeschichte mit der fast 60 Jahre alten Bundesliga. Und davor?

    Das Wunder von Bern, natürlich. Aber sonst? Schon wer etwas über die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erfahren will, tut sich mit heutigen Suchmethoden schwer. Kaum Bewegtbilder, Fotos nur in Schwarz-Weiß, Überblicksdarstellungen sind Mangelware. Noch viel schwieriger ist es, etwas über den Fußball in der Kaiserzeit in Erfahrung zu bringen. Und wozu auch? Wen interessiert noch, wer gegen wen vor 120 Jahren Tore schoss?


    Udo Luy, 73, aus dem fränkischen Kleinrinderfelde bei Würzburg sieht das anders. Komplett anders, wie es sich für einen Jäger und Sammler gehört. Was Luy geleistet hat, ist ebenso außergewöhnlich wie verdienstvoll: Er rettet Ergebnisse vor dem Vergessen – und zwar möglichst alle. Auch die, man getrost hat vergessen können. Seine mittlerweile 13 Statistikbücher, nach Landesverbänden aufgeteilt, enthalten 3138 Tabellen (nach seiner eigenen Zählung) aller Ligen, die es auf deutschem Boden von den Anfängen 1889 bis Kriegsausbruch 1914 gegeben hat, und auch die Ergebnisse mit Austragungsdaten – vorsichtig geschätzt sind es über 100.000, trotz einiger Lücken in den Kreuztabellen. Dabei ist nichts ist unter seiner Würde, neben den Ligen bis runter zur C-Klasse erfasste er „Sportplatzeinweihungen, lokale Pokalwettbewerbe, Städtespiele und so weiter“. Selbstverständlich auch das erste Spiel des FC Bayern München vom 13. Mai 1900, ein 5:1 gegen den 1. FC München von 1896.Nach ersten Artikeln über ihn in Lokal- und Sportzeitungen sowie einem Porträt im DFB-Journal treffen Anfragen aus dem ganzen Land bei ihm ein und der Rentner ist gerne behilflich, man darf ihn gerne anschreiben (udoluy@t-online.de). So liefert er anlässlich von Jubiläen noch schnell das richtige Gründungsdatum eines Vereins – oder das erste Ergebnis der Vereinsgeschichte, wie dem FC Carl Zeiss Jena. Den Zweitligisten Jahn Regensburg und Darmstadt 98 sendet er regelmäßig „Altware“ fürs Vereinsheft und gerade erst musste er einem polnischen Journalisten mit Tabellen vom ostpreußischen Fußball aushelfen. Sein 18 Quadratmeter großes Arbeitszimmer ist die Schiedsstelle für alle Streitfälle aus der Steinzeit des Fußballs, es hat sich allmählich herumgesprochen, dass dieser Mann fast alles weiß. „Was ich nicht habe, gibt es nicht“, sagt er nicht ohne Grund. Denn seine Sammelwut hat ihn erst in die Lage versetzt, die quasi vergessene Epoche des deutschen Fußballs ans Tageslicht zu zerren. Sie hat ihn schon als Kind interessiert, nur kam er damals nicht weit. Es gab keine Nachschlagewerke aus dieser Zeit. Heute gibt es das Internet, doch eine große Hilfe ist es nicht.

    Vor 20 Jahren zog der gelernte Großhandelskaufmann erstmals aus in die großen Bibliotheken des Landes, die er fast alle abgegrast hat. Im Urlaub, wenn andere an die Strände fuhren, wälzte er mit Genehmigung der Frau, „die hat‘s erlaubt“, alte Zeitungsbände und spulte Filmrollen ab. Heraus kam ein aus rund 200 Leitz-Ordnern bestehendes Privatarchiv, das seinesgleichen sucht. Luy scannte ein, was an Fußballberichten in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert erhalten ist, darunter auch Protokolle von Verbandstagen und Jahreshauptversammlungen – und jede Menge Fotos.

    Luy: „Es gibt jetzt eine Basis für alle, die sich mit dem alten Fußball befassen wollen. Diese Leute kommen an meinen Büchern nicht vorbei.“ Sein Archiv enthält Berichte aus über 300 Zeitungen; von der „Allgemeinen Schlesischen Sportzeitung“ bis zum „Zabrzer Anzeiger“. Ältestes Exemplar ist die „Erste Spiel- und Sportzeitung Berlin“ von 1893. Mit der Presse der Kaiserzeit hatte er so seine liebe Mühe und Not, „man kann fast grundsätzlich sagen, dass in Tageszeitungen veröffentlichte Tabellen fehlerhaft waren“. Eigentlich wollte er seine Forschungen bis 1945 ausdehnen, doch der Aufwand erwies sich als zu groß, wenn es schon 20 Jahre gedauert hat, um bis 1914 zu kommen. Weshalb Luy sich bald zur Ruhe setzen wird: mit Abschluss des 13. Statistikbandes, über den Berliner Fußball, ist sein Werk getan.

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