Walter Nausch - Der Sir - Ehrenkapitän der Wiener Austria

  • Ist schon ein etwas älterer Artikel, erschienen in der "DiePresse" zum 60. Todestag der Austria Ehrenkapitäns im Mai.




    Walter Nausch, rechts neben Matthias Sindelar


    Am 11. Juli 1957 starb der bekannte Fußballlehrer Walter Nausch in der Bundessportschule Obertraun im oberösterreichischen Salzkammergut.


    Sein Herz schlug bis zuletzt, wie man so sagt, für den Fußballsport. Schon länger hatte Nausch mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.


    Im Wiener Cafe´ Prückel, im Kaffeehaus also, der zweitwichtigsten Heimstätte des Wiener Fußballs, hatte er bereits ein Jahr davor seinen ersten Herzinfarkt erlitten.


    Wie bei berühmten Personen nicht selten, gibt es dazu eine Art Anekdote: Eine Cupniederlage seiner Wiener Austria gegen den Kremser SC habe den Infarkt ausgelöst.


    Nausch wurde nur 50 Jahre alt. In seiner kurzen Biografie, in der er fünf verschiedene politische Systeme durchlebte, verdichtet sich ein spannendes Stück österreichischer Sportzeitgeschichte.


    Im Zeitraffer:


    Geboren wurde er am 5. Februar 1907. Es ist die Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Embryonalphase des Wiener und somit des österreichischen Fußballs. Seine Kindheit ist behütet. Er wächst in der Josefstadt auf. Bei den Vereinen FC JosefstadtToskana und Libertas erlernt er, das bürgerliche Kind, das Fußballspielen. Das war schon bemerkenswert. Nauschs Fußballkünste sind nicht das Produkt der Vorstadt. Er war kein typischer proletarischer „Wiener Gstättenkicker“.


    Dann geht er zu den „Amateuren“, den Vorgängern der Wiener Austria, als 16-Jähriger wird er bereits österreichischer Meister.


    Er schafft es, nach einem kurzen Abstecher zum WAC und dann wieder zurück zur Wiener Austria, bis zum Spieler und sogar zum Kapitän des Wunderteams, war etwa dabei beim legendären Stamford-Bridge-Match (1932), welches der Kulturhistoriker Matthias Marschik zu Recht als Geburtsstunde der österreichischen Nation qua Sport charakterisiert.


    Er kultivierte mit Matthias Sindelar und all den anderen unsterblichen Helden das von der gesamten Fußballwelt bewunderte „Scheiberlspiel“, lange bevor man in Barcelona „Tiki-Taka“buchstabieren konnte, und gewann mit der Wiener Austria zweimal den Mitropacup (1933 und 1936), unter anderem gegen Ambrosiana Mailand, wie Inter Mailand damals noch hieß.


    Und dann kommen im März 1938 die Nazis. Es beginnt der wohl dramatischste Abschnitt im Leben des Walter Nausch – eng mit dem Schicksal seiner jüdischen Frau verbunden.


    Die Rahmendaten sind schnell erzählt. Sie sind fixer Bestandteil eines jeden Nachrufs auf Nausch, und sie bilden eine Art antifaschistisches Basisnarrativ des Fußballklubs Austria Wien, der ja vielen gemeinhin als „Judenklub“galt.


    Doch im Detail weiß man bisher noch recht wenig über diese Zeit. Es sei Nausch der Posten des Gautrainers der Ostmark angeboten worden. Doch der „Sir“, wie er wegen seines aufrichtigen Charakters genannt wurde, habe das Angebot „brüsk“abgelehnt, denn die nationalsozialistischen Funktionäre hätten verlangt, dass er sich dafür von seiner jüdischen Frau trenne.


    All das basiert lediglich auf mündlichen Überlieferungen. Den neuen Machthabern habe „die Nase seiner Frau nicht gepasst“, wird es dazu nach 1945, in einem bis heute immer wieder zitierten Artikel in der Zeitschrift „Die Woche“, salopp heißen. Das war’s auch schon an Analyse.


    Diese oberflächliche Schilderung ist symptomatisch für die Nichtaufarbeitung des Sports der NS-Zeit nach 1945. Man wollte es gar nicht so genau wissen. Dazu kam, dass Sport der „seriösen“Faschismusforschung lange Jahre als ein zu wenig bedeutendes Thema galt.


    Außerdem trage Sport ja generell den Nimbus des Apolitischen geradezu in sich. Erst heute – und mit Verzögerung etwa im Vergleich zur deutschen Faschismusforschung – beginnen Historiker und Historikerinnen mählich mit einer systematischen Beforschung der österreichischen Fußballgeschichte im Zeitraum von 1938 bis 1945.


    Zu erwähnen sind dabei vor allem die wegweisende Studie von Georg Spitaler und Jakob Rosenberg („Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“, 2011) über den SK Rapid oder Walter Ibers Untersuchung des steirischen Fußballs und seiner Traditionsklubs („Zuerst der Fußball und dann die Partei“, 2016).


    Erst kürzlich startete der FK Austria Wien in Kooperation mit der Universität Wien ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der eigenen Vereinsgeschichte: „Die Wiener Austria in der Zeit der NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945“.


    Im Zuge dieser laufenden Forschungen wird es jetzt erstmals möglich, ein plastischeres Bild von der Emigration des Ehepaares Nausch in die Schweiz zu zeichnen. Es bekommt vor allem die Frau von Walter Nausch, die in allen Erzählungen bisher beinahe vollkommen im Dunkeln blieb, die jedoch zum Auslöser seines Wegganges geworden war, ein „Gesicht“und eine eigene Geschichte.


    Margarethe (oft auch Margot) Hendler (1908–1992) war selbst eine talentierte Sportlerin. Sie schwamm beim bekannten Wiener Schwimmverein Austria. Walter Nausch und Margarethe Hendler heirateten am 20. Juni 1932.


    Das Paar war damals immerhin schon so prominent, dass das „SportTagblatt“einen Bericht über die Hochzeit brachte. Margarethe Hendler galt, wie sie es selbst im Erhebungsformular zur „Erfassung des jüdischen Eigentums vom 26. April 1938“angibt, als „Jude (sic) deutscher Staatsangehörigkeit“. Somit geriet das Paar ins Räderwerk der nationalsozialistischen Verfolgungsmaschinerie.


    Nausch konnte sich mit einem Angebot des Schweizer Spitzenvereins Grasshoppers Zürich, bei dem der Wiener Karl Rappan (1905–1996) als Trainer tätig war, in die Schweiz retten.


    Am 22. November 1938 unterschreibt er einen Vertrag als „Berufsfußballer“und „Hilfstrainer für Schüler und Junioren“. Sein Gehalt beträgt 500 Schweizer Franken Fixum. Zu Weihnachten 1938 fährt er noch einmal nach Wien und holt seine Frau nach.


    Seinen Status als deutscher Staatsangehöriger verliert er bis zum Schluss nicht. Die folgenden zehn Lebensjahre werden in den biografischen Beiträgen zu Nausch oder zur Wiener Austria meist mit dem lapidaren Satz „Er verbrachte die Zeit des Nationalsozialismus in der Schweiz“abgetan.


    Aber wie gestaltete sich dieser Zeitraum für das Paar im Exil? Jedes Jahr musste das Ehepaar um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ansuchen. Der Fremdenpolizeiakt der Familie Nausch, den wir heute kennen, umfasst mehrere hundert Seiten und verrät vieles über den gar nicht so sicheren Migrantenalltag im Schweizer Exil. Er sagt darüber hinaus aber auch vieles über die Asylpolitik der Schweiz in jenen dramatischen Jahren.


    Das Aufenthaltsrecht war immer an einen gültigen Arbeitsvertrag – zuerst mit Grasshoppers Zürich und danach mit Young Fellows Zürich – gekoppelt. Der Spieler und der Verein mussten jährlich um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ansuchen.


    Dabei spielten vor allem ökonomische Argumente eine gewichtige Rolle. Der Klub musste den Bedarf für den Spieler und Trainer Nausch bei der Schweizer Fremdenpolizei begründen. In einem durchaus signifikanten Schreiben der Stadtpolizei Zürich an die Fremdenpolizei vom 28. Mai 1940 wird Walter Nausch etwa als „ein ruhiger, solider Mann, der nur für seinen Sport lebt“, geschildert.


    Weiters habe er keine Schulden, versteuere sein Gehalt ordnungsgemäß und belaste „laut Auskunft des Arbeitsamtes den lokalen Arbeitsmarkt nicht“. Auch deswegen, weil er weitaus billiger war als vergleichbare Schweizer Fußballtrainer. Deshalb sei auch, so meint das schweizerische Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, „vom Standpunkt des Arbeitsmarktes nichts einzuwenden“, dass Nauschs Aufenthalt verlängert würde.


    Auf die sportliche Karriere des bereits gereiften Wunderteamspielers im Exil kann hier nicht näher eingegangen werden. Aber für die Gesamteinschätzung ist relevant, dass auch in der neutralen Schweiz der Profifußball unter der Teilmobilmachung des Landes gehörig eingeschränkt und somit eine Weiterbeschäftigung des Wieners vor allem nach Kriegsausbruch keinesfalls selbstverständlich war.


    Die stets drohende Abschiebung ist nur einer der Unsicherheitsfaktoren im Migrantendasein. Am 18. März 1944 wird Nausch zur Musterung auf das deutsche Konsulat in Zürich beordert, in der Folge aber nicht eingezogen.


    Die Gründe dafür kennen wir (noch) nicht. Als man der Familie Nausch in „Großdeutschland“physisch nicht habhaft werden konnte, griff man nach deren Besitz. Dieser wurde interessanterweise während der Zeit des Nationalsozialismus vom Austria-Wien-„Vereinsführer“, dem Rechtsanwalt Dr. Bruno Eckerl, treuhänderisch verwaltet.


    Doch am 16. Dezember 1943 beginnt der Oberfinanzpräsident für Wien-Niederdonau (in einem Schreiben an die Gestapo Wien am Morzinplatz 4) auf Margarethe Nausch Druck zu machen. Sie falle, so heißt es im Bürokratendeutsch des Nationalsozialismus, unter die „Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“.


    Demnach müssten auch im Ausland lebende deutsche Juden ihren Besitz an das Reich abgeben. Margarethe Nausch erfülle „die Voraussetzungen für den Vermögensentzug gemäß Verordnung zum Reichsbürgergesetz – die Genannte ist Jüdin“, heißt es lapidar.


    Die Familie Nausch verliert ihr gesamtes Vermögen. Andere ihr Leben: wie etwa der Austria-Wien-Manager Robert Lang (1886–1941), der in Jugoslawien ermordet wird.


    Nach 1945 gelingt es Dr. Eckerl – er hat die NS-Zeit gut angepasst durchgetaucht, ist nach wie vor erfolgreicher Rechtsanwalt –, den enteigneten Besitz der Familie Nausch zurückzufordern.


    1948 kehren Walter und Margarethe Nausch nach Wien zurück.


    Der damalige ÖFB-Präsident Josef Gerö hatte den ehemaligen Wunderteamspieler als „Verbandskapitän“des österreichischen Nationalteams ausersehen.


    Nausch ist hoch geachtet. Ihm traut man den Aufbau des vor sich hin tümpelnden österreichischen Nationalteams zu.


    Dies gelingt ihm letztlich auch, der Bundeskapitän erreicht mit den österreichischen Kickern bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz den hervorragenden dritten Platz.


    Das war nun in der Tat schier ein AllzeitTopergebnis, das „wir“in jenem zweiten Jahrtausend n. Chr. denn auch nicht mehr erreichen sollten – möglicherweise aber im dritten Jahrtausend, es währt ja noch schön lange, einmal übertreffen werden.


    Die WM 1954 markierte noch einmal ein letztes Aufblühen des berühmten Wiener Fußballs bis auf Weltniveau. Doch die besten Spieler konnten nicht in Österreich gehalten werden.


    Das Team zerfiel. Nach einigen Länderspiel-Niederlagen markierte ein 1:4-Flop gegen Ungarn am 17. November 1954 den Tiefpunkt.


    Nausch tritt von seiner Funktion als Bundeskapitän zurück. Der österreichische Fußball schlittert in die vielleicht einschneidendste Krise des 20. Jahrhunderts.


    Walter Nausch war zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich schon schwer angeschlagen. Trotzdem behielt er – auf Ersuchen des Fußballbundes und der Staatsliga – im ÖFB bis zuletzt die Funktion des Leiters des Kurswesens. Seine letzte Dienstreise als Fußballlehrer endete im Sommer 1957 in der Bundessportschule Obertraun.



    "Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würde." - Nick Hornby - FEVERPITCH



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